Wissenschaftler beschreiben Chancen und Hindernisse für eine echte Kreislaufwirtschaft
Es ist ernüchternd: So sehr wir uns anstrengen, unsere Abfälle in gelbe Säcke und grüne Tonnen zu trennen, schaffen wir doch nur, etwa ein Sechstel allen eingesetzten Materials wiederzuverwerten. Das entspricht bei weitem nicht der Vorstellung von einer zirkulären Wirtschaft.
In einer echten Kreislaufwirtschaft sollte der größte Teil aller Waren aus wiederverwertbarem Material bestehen. Erreicht ein Produkt das Ende seiner Lebenszeit, sollte aus dem verbauten Material ein gleichwertiges Produkt – derselben oder einer anderen Art – entstehen. Herstellung und Wiederverwertung sollten möglichst wenig Energie verbrauchen und diese aus regenerativen Quellen stammen.
Doch sind diese theoretischen Vorsätze mit der realen Wirtschaft vereinbar?
“Weder die Welt, noch die EU, noch Deutschland befinden sich in Sichtweite einer realisierten Circular Economy,” stellen Wissenschaftler vom Fraunhofer Institut UMSICHT (Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik) in einer neuen Studie fest. Sie sehen in der Kreislaufwirtschaft jedoch eine echte Zukunftsoption mit langfristig guten Chancen für Deutschland und Europa.
Entscheidende Schritte sind die entschlossene Umstellung auf erneuerbare Energien und konsequentes Recycling von Rohstoffen.
In ihrer vom VCI (Verband der Chemischen Industrie e.V.) beauftragten Studie analysierten sie die Hindernisse auf dem Weg zum konsequenten Recycling am Beispiel von drei Technologieprodukten:
Autoreifen, Flüssigkristallbildschirme und Windradflügel.
Entscheidende Hindernisse auf dem Weg zu einer vollständigen Wiederverwertung aller Materialien sehen die Forscher
- in Zielkonflikten zwischen Wiederverwertbarkeit und Funktion oder Design eines Produktes,
- in der Geheimhaltung von Materialzusammensetzungen aus marktstrategischen Gründen,
- in der mangelnden Vorhersagbarkeit von Materialströmen und -bedarf.
Viele Produkte ließen sich leichter wiederverwerten, wenn sie aus Materialen bestünden, für die Recyclingverfahren bereits etabliert sind. Nützlich wäre auch, sie aus Bauteilen herzustellen, die sich einzeln weiterverarbeiten lassen. Produkte in modularer Bauweise zu fertigen, steht aber häufig im Widerspruch zum angestrebten Design oder der vollen Funktion. Dabei geht es neben ökonomischen Aspekten und Komfort für den Verbraucher auch um dessen Sicherheit: Autoreifen müssen gut auf der Straße haften und großer Geschwindigkeit standhalten, Computerbildschirme müssen feuerfest sein. Bei modernen hightech Bauteilen wie den Rotorblättern von Windrädern ist das Design bestimmt von der Vorgabe, dass ihr Einsatz unmittelbar wirtschaftlich sein muss. Sie aus Glasfaserverbundstoffen zu bauen, macht sie gleichzeitig leicht, stabil und aerodynamisch. Bisher gibt es jedoch kein Verfahren zur Wiederverwertung der Bestandteile in einem gleichwertigen Produkt.
Flachbildschirme bergen ein weiteres Problem: Sie gehören zu den Produkten aus komplexen Stoffgemischen, deren Zusammensetzung die Hersteller aus marktstrategischen Gründen geheim halten. In dem Gemisch stecken zahlreiche Rohstoffe, die für ein hochwertiges Recycling geeignet sind. Bei der Entsorgung der Geräte steht aber ein anderer Aspekt im Vordergrund: Sie enthalten diverse Schadstoffe, die Menschen gefährden, wenn sie nicht sachgerecht behandelt werden.
Auch knappe Rohstoffe wie das Metall Indium werden teilweise nicht wieder genutzt, weil es in Europa keine Verwertungsstrukturen dafür gibt oder weil die Wiederverwertung ökonomisch ungünstig ist.
Designaspekte wie die Form und Beschaffenheit eines Elektrogerätes entscheiden zudem darüber, ob es für das industrielle Recycling taugt. Die empfindlichen LCDs gehen allzu leicht schon bei der Erfassung zu Bruch und sind dann nicht mehr vollständig weiter verwertbar.
Schließlich weisen die Wissenschaftler in ihrer Studie auf die Notwendigkeit einer stetigen globalen Erfassung von Materialbeständen hin, um deren Wiederverwertung planen zu können. Große Mengen wiederverwertbaren Materials sind in langlebigen Produkten und Gebäuden gebunden. Sie können erst nach Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten, zurück gewonnen werden. Auf dieses langfristige “anthropogene Materiallager” sinnvoll zuzugreifen ist nur möglich, wenn alle Bestandteile bekannt und dokumentiert sind. Ein räumliches und zeitliches Materialkataster ist deshalb eine der Voraussetzungen für eine vollständige Rückführung von Rohstoffen in den Kreislauf. Einen wichtigen Beitrag zur Realisierung eines solchen Katasters sehen die Wissenschaftler in der zunehmenden Digitalisierung. Eine noch größere Herausforderung stellt die zuverlässige langfristige Voraussage des Rohstoffbedarfes in einer Kreislaufwirtschaft dar. Innovative Technologien können Rohstoffflüsse drastisch verändern. Deshalb sehen die Verfasser der Studie Märkte und Politik gleichermaßen in der Verantwortung, Anreize zu schaffen, die Wirtschaft nachhaltig als Kreislauf zu gestalten.
Link zur Studie:
https://www.umsicht.fraunhofer.de/content/dam/umsicht/de/dokumente/pressemitteilungen/2017/Studie-VCI-Circular-Economy-Gesamtstudie.pdf