Das menschliche Immunsystem kann Krebszellen wirksam bekämpfen. Natürliche Bremsmechanismen verhindern aber oft, dass es sich gegen den stark wuchernden Krebs durchsetzt. Deutsche Wissenschaftler erforschen verschiedene Möglichkeiten, die Schlagkraft der natürlichen Abwehr bei Krebspatienten zu entfesseln.
Krebs entsteht, wenn Zellen entarten, so dass ihr Wachstum und Stoffwechsel aus dem Ruder laufen. Klassischerweise wird Krebs mittels Chemotherapie und Bestrahlung behandelt. Dass das körpereigene Immunsystem auch gegen Krebszellen aktiv ist, wissen nur wenige. Gegenüber den entarteten Krebszellen hat das natürliche Abwehrsystem aber einen entscheidenen Nachteil: Die Krebszellen sind derart umprogrammiert, dass sie sich ständig und ungebremst vermehren. Das Immunsystem hingegen hat eingebaute Bremsmechanismen. Sie schützen gesunden Menschen vor überschäumenden Abwehrreaktionen wie Allergien und Autoimmunerkrankungen. Um das Immunsystem im Kampf gegen Krebszellen zu stärken, gibt es seit einigen Jahren Therapien, die diese Bremsmechanismen – die “Checkpoints” im System – schwächen. Checkpoint-Inhibitoren heißen die eingesetzten Medikamente. In der vergangenen Woche veröffentlichten mehrere Forschergruppen Erkenntnisse, die helfen sollen, die Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren zukünftig zu verbessern.
Neue Funktion alter Bekannter: Neutrophile hemmen Immuntherapie bei Krebspatienten
Wissenschaftler aus Deutschland , Australien und Belgien beschrieben, wie Neutrophile die Wirkung der körpereigenen Krebsabwehr behindern. Neutrophile sind weiße Blutkörperchen, die eine prominente Rolle in der Abwehr von Bakterien, Pilzen und Parasiten spielen. Bei Krebspatienten korreliert eine hohe Anzahl von Neutrophilen im Blut allerdings häufig mit schlechten Therapieaussichten. Die Forscher um Thomas Tüting und Michael Hölzel aus Magdeburg und Bonn stellten jetzt fest, dass bei Mäusen die Krebstherapie mit Checkpoint-Inhibitoren zu vermehrter Freisetzung von Neutrophilen aus dem Knochenmark führte. Das gleiche galt bei der Therapie der Mäuse mit modifizierten T-Zellen, die sich gegen den Krebs richten. Das Einwandern der Neutrophilen in die Tumoren schmälerte den Therapieerfolg. Im Detail konnten sie zeigen, dass die eingewanderten Neutrophilen auf einen Signalstoff reagierten, den die T-Zellen im Kampf gegen den Krebs freisetzen. Sobald sie in Kontakt mit diesem Signalstoff kamen, änderte sich ihr Charakter und sie bremsten nun die Tumorbekämpfung. Mittels eleganter mikroskopischer Studien konnten sie beobachten, wie T-Zellen und Neutrophile auch in den Lymphknoten der krebskranken Mäuse miteinander interagierten. Hier scheinen die Neutrophilen zu verhindern, dass sich die krebsspezifischen T-Zellen vermehren.
Signalweg mit doppelter Wirkung: c-MET Inhibition wirkt gegen Krebszellen und Neutrophile bleiben stecken
Wenn Hölzel und seine Kollegen aber die Phosphorylierung eines bestimmten Proteins (c-MET, siehe Glossar) in den Neutrophilen blockierten, waren die anti-Tumor T-Zellen zahlreicher und schlagkräftiger und die Therapie somit erfolgreicher. Sie fanden heraus, dass die Neutrophilen in denen der c-MET Signalweg blockiert ist, im Knochenmark steckenbleiben. Hier entstehen sie und wanders normalerweise ins Blut aus, um an den Ort einer Infektion, eines Tumors oder auch in die Lymphknoten zu gelangen.
Interessanterweise wird die Blockade des c-MET Signalweges bereits in klinischen Studien getestet, weil sie einen direkten negativen Effekt auf bestimmte Krebsarten hat. Die in der aktuellen Studie beschriebene Wirkung auf Neutrophile ist jedoch unabhängig von der Sensitivität der Krebszellen gegen den c-MET Inhibitor. Somit könnte die Behandlung mit diesem Medikament mehr Patienten zugute kommen, als bisher angenommen.
Der richtige Inhibitor zum richtigen Zeitpunkt: ohne NF-kB Signal keine regulatorischen T-Zellen in Tumoren
An einem anderen Signalweg arbeiten Forscher um Christian Kurts und Friedrich Thaiss aus Bonn und Hamburg. Ihnen fiel auf, dass sich eine entzündliche Nierenerkrankung in Mäusen verschlimmerte, wenn sie eine Komponente der NF-kB Signalkaskade inhibierten. Das heißt, das Immunsystem war durch den Inhibitor stärker aktiv als zuvor. Der Grund dafür war, das die Zahl der regulatorischen T-Zellen stark abnahm. Regulatorische T-Zellen sind dafür verantwortlich, eine Abwehrreaktion nach einer bestimmten Zeit wieder einzudämmen, damit sie nicht aus dem Ruder läuft. Kurts und seine Kollegen wollten nun untersuchen, ob sich dieser Effekt bei einer Krebserkrankung nutzen ließe, um die Abwehr gegen Krebs zu unterstützen. Das besondere am NF-kB Signalweg ist, dass er je nach Kontext entzündungsfördernde oder entzündungshemmende Wirkung hat. Der hier benutzte Inhibitor wird derzeit in klinischen Studien zur Eindämmung von Immunreaktionen getestet. Auch die zytotoxischen T-Zellen, die Krebs bekämpfen, benötigen aktive NF-kB Signale für ihre Entwicklung und Aktivierung. Die Forscher um Thaiss und Kurts wollten aber durch die Blockade des Signalweges gerade diese Zellen stärken indem sie ihre Gegenspieler schwächten. Deshalb mussten sie präzise austüfteln, zu welchem Zeitpunkt die Inhibition einen positiven Effekt auf die Krebsbekämpfung hat. Sie fanden heraus, dass regulatorische T-Zellen, die den Kampf gegen den Krebs hemmen, das NF-kB Signal benötigen, um im Blut und Gewebe zu überleben und sich zu vermehren. Sie funktionieren zwar auch ohne das NF-kB Signal als Bremsen für zytotoxische T-Zellen, es gelang den Wissenschaftlern aber, mittels NF-kB Inhibition die Zahlen der regulatorischen T-Zellen auf etwa die Hälfte zu reduzieren. Damit die Krebsabwehr deutlich an Schlagkraft gewann, war allerdings noch ein zusätzlicher Schritt erforderlich: Die sogenannten Krebsimpfung, die auch heute schon in der Krebstherapie angewandt wird, um die Therapie zu unterstützen. Dabei wird Patienten ein Tumor-spezifisches Antigen – z.B. ein Protein, das auf der Oberfläche der Krebszellen vorkommt – verabreicht. Dies fördert die Aktivität der zytotoxischen T-Zellen gegen den Krebs. In Kombination mit der Impfung verzögerte die NF-kB Inhibition das Tumorwachstum, die anti-Krebs T-Zellen waren deutlich aktiver als nach der Impfung allein und die behandelten Mäuse überlebten deutlich länger.
Blick in die Zukunft: Therapie mit CAR-T Zellen
Beide Studien sind interessant mit Hinblick auf die Entwicklung von Krebstherapien mithilfe sogenannter CAR-T Zellen. CAR steht für “chimärer Antigenrezeptor” und bezeichnet einen genetisch konstruierten T-Zell Rezeptor, der aus Teilen eines Antikörpers sowie aus Teilen des T-Zell Rezeptorkomplexes besteht. Dieser Rezeptor bindet mit hoher Affinität das Antigen, auf das er programmiert ist, z.B. ein Oberflächenprotein von Krebszellen. Er aktiviert daraufhin die zytotoxischen T-Zellen, die den CAR an ihrer Oberfläche tragen. Weltweit gibt es Ansätze, Patienten eigene T-Zellen zu entnehmen und sie mit einem CAR zu versehen, der zu ihren Krebszellen passt. Werden diese CAR-T-Zellen dem Patienten dann wieder ins Blut gegeben, entfalten sie hohe Aktivität gegen den Krebs. Ein Experte für CAR-T Zellen ist Hinrich Abken, der um Universitätsklinikum Köln forscht. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich damit, wie man den Einsatz von CAR-T Zellen optimieren kann, indem man die natürlichen Bremsen des Immunsystems löst. Er hat mit seiner Gruppe zum Beispiel CAR-T Zellen entwickelt, die den hemmenden Rezeptor PD1 nicht auf ihrer Oberfläche tragen. Im gesunden Menschen exprimieren aktivierte T-Zellen diesen Rezeptor. Regulatorische Zellen sowie die von Hölzel und Tüting beschriebenen Neutrophilen tragen den passenden Liganden auf ihrer Oberfläche. Bindet dieser an den PD1 Rezeptor, nimmt die zytotoxische Aktivität der T-Zelle ab und das System kehrt – nach erfolgreicher Pathogenabwehr – in seinen Ausgangszustand zurück. Im Falle einer Krebserkrankung soll die Aktivität der T-Zellen aber so lange wie möglich aufrecht erhalten werden. Das gelang Abken und seinen Kollegen, indem sie die Herstellung des Rezeptors in den CAR-T Zellen unterdrückten. Eine andere Strategie, die Abken entwickelte, ist, einen Teil des CAR-T Rezeptors so zu modifizieren, dass die aktivierte CAR-T Zelle einen bestimmten Botenstoff nicht mehr ausscheidet. Dieser Botenstoff dient in der normalen Immunreaktion dazu, regulatorische T-Zellen zu aktivieren, welche die akute Abwehrreaktion herunterfahren. Hinrich Abken hat die Ergebnisse seiner und anderer Forschergruppen nun in einem Übersichtsartikel zusammengefasst. Er beschreibt darin auch die Zukunftsperspektiven dieses ebenso vielversprechenden wie risikobehafteten Therapieansatzes.
Links zu den beschriebenen Studien und Artikeln:
Glodde et al. über Neutrophile, wie sie T-Zellen bremsen und die Wirkung von c-MET Inhibition auf diesen Mechanismus
Heuser et al über die Wirkung von NF-kB Signalweg Inhibition auf regulatorische Zellen in Tumoren
Übersicht und Aussichten von Hinrich Abken zu den Entwicklungen bei CAR-T Zellen